
Im Vorwort zu seiner 1952 erschienenen Neubearbeitung von Wandlungen und Symbole der Libido schrieb Jung, er habe dieses Buch 1911 in seinem sechsunddreißigsten Lebensjahr verfasst: »Dieser Zeitpunkt ist kritisch, denn er bezeichnet den Anfang der zweiten Lebenshälfte, in welchem nicht selten eine Metanoia, eine Sinnesänderung stattfindet.« Er fügte hinzu, dass er sich des Verlustes seiner Zusammenarbeit mit Freud bewusst gewesen und seiner Frau für ihre Unterstützung verpflichtet gewesen sei. Nach der Vollendung des Werkes sei ihm deutlich geworden, was es bedeute, ohne einen Mythus zu leben. Jemand ohne Mythus »ist sogar ein Entwurzelter, welcher weder mit der Vergangenheit, dem Ahnenleben (das immer in ihm lebt), noch mit der gegenwärtigen menschlichen Gesellschaft in wahrhafter Verbindung steht.« Dies führte dazu, wie er weiter ausführte, dass er sich gedrängt fand, mich allen Ernstes zu fragen: »Was ist der Mythus, den du lebst?« Ich konnte die Antwort darauf nicht geben, sondern mußte mir eingestehen, daß ich eigentlich weder mit einem Mythus noch innerhalb eines solchen lebte, sondern vielmehr in einer unsicheren Wolke von Ansichtsmöglichkeiten, die ich allerdings mit steigendem Mißtrauen betrachtete. […] So ergab sich mir natürlicherweise der Entschluß, »meinen« Mythus kennenzulernen, und ich betrachtete dies als die Aufgabe par excellence, denn – so sagte ich mir – wie konnte ich meinen Patienten gegenüber meinen persönlichen Faktor, meine persönliche Gleichung, die doch zur Erkenntnis des anderen so unerläßlich ist, richtig in Rechnung stellen, wenn ich darüber unbewußt war?