OBV* Herbert van Erkelens: Wolfgang Pauli und der Geist der Materie am 15.09.2023 um 19 Uhr

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Beschreibung

Diese Biographie über den Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli (1900-1958) stützt sich auf den in den letzten Jahren publizierten Briefwechsel zwischen Pauli und den Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung, Marie-Louise von Franz und Aniela Jaffé. Im Zentrum der Biographie stehen aber nicht Paulis wissenschaftliche Entdeckungen, sondern seine Träume und die Aktive Imagination Die Klavierstunde. C. G. Jung hat in seinem Werk Psychologie und Alchemie mehr als 80 Träume aus der Frühphase seiner Begegnung mit Pauli publiziert und mit Interpretationen versehen. Im vorliegenden Band geht es vor allem um Paulis an diese Frühphase sich anschließende „alchemistische Quest“, seine Suche nach der Einheit von Psyche und Physis. Nach 1945 kehrt Pauli aus Amerika zurück an seinen Lehrstuhl für Theoretische Physik an der Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich. Damit beginnt für ihn eine lange, innere Wanderung, in deren Verlauf er durch Traumfiguren dazu gedrängt wird, eine „erweiterte Naturwissenschaft“ zu entwickeln. Bald zeigt sich, dass es in unserer Erfahrungswelt eine verborgene, archetypische Dimension vom Sinn jenseits der kartesischen Spaltung von Geist und Materie gibt. In Paulis Träumen wird diese Dimension vertreten durch zwei eindrucksvolle Traumfiguren, die er den „hell-dunklen Fremden“ und die „Chinesin“ nennt. Sie vermitteln dem Wissenschaftler Pauli einen Realitätsbegriff, der auch die von Jung als Synchronizität bezeichneten sinngemässen Koinzidenzen in unserem Leben umfasst. Das innere Zwiegespräch Paulis mit dem „Fremden“ und der „Chinesin“ gehört zu den faszinierendsten und auch bewegendsten Dokumenten der modernen Wissenschaftsgeschichte.Vielleicht kann man den Titel „Geist der Materie“ als billige Esoterik missverstehen, aber dagegen spricht schon der Name Wolfgang Pauli. Pauli war ein physikalisches Wunderkind, mit 21 promoviert, mit 24 habilitiert und mit 27 Professor für theoretische Physik an der ETH-Zürich. Zur Theorie der Quantenphysik hat er Wichtiges beigetragen. Unter seinen Kollegen genoss er höchste Anerkennung, war aber auch gefürchtet. Falsche Formeln oder Hypothesen fanden vor seinen Augen keine Gnade. Das trug ihm Spitznamen wie „das Gewissen der Physik“ oder „der fürchterliche Pauli“ ein. Diese unbestechliche, obere Instanz der exakten Naturwissenschaften hatte aber noch ganz andere Interessen. Seit er in den 30 Jahren – Pauli ist im Jahr 1900 geboren – eine Psychoanalyse bei C. G. Jung gemacht hatte, ließ ihn die Auseinandersetzung mit dem Unbewussten nicht mehr los. Besonders das Phänomen der Synchronizität interessierte ihn. Er selber war dafür ein wandelndes Beispiel. Immer wenn er ein Labor betrat ging irgendwas kaputt. Oft genug explodierten die Apparaturen. Obwohl alle Physiker sich über den „Pauli-Effekt“ amüsierten, nahm keiner ihn ernst, außer Pauli selber. Allerdings hat auch er nichts darüber publiziert. Nur in einem ausführlichen Briefwechsel mit C.G. Jung und einigen seiner Schülerinnen hat er sich dazu geäußert. Diese Korrespondenz ist auch jetzt, fast 50 Jahre nach Paulis Tod, noch immer nicht vollständig öffentlich zugänglich. Van Erkelens, offensichtlich selber Analytiker, hatte aber diesen Zugang und er hat Paulis Träume nicht nur publiziert sondern auch gedeutet. So wird der tiefe innere Konflikt klar, an dem der berühmte Physiker litt. Seine Träume drängten ihn, mit seinen psychologischen Theorien an die Öffentlichkeit zu gehen, aber im Wachzustand war ihm klar, dass seine Kollegen das alles höhnisch verwerfen würden. Daran ist er wohl auch letztlich zerbrochen. Er starb schon im Alter von 58 Jahren. Der Autor nennt „Wolfgang Pauli und der Geist der Materie“ eine Biographie, aber es ist wohl eher ein psychoanalytisches Fachbuch, gleichzeitig liest es sich leicht und ist spannend wie ein Roman.

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Vorwort zur zweiten Ausgabe

Diese Studie über die Bedeutung von Wolfgang Paulis späteren Träumen ist für mich mit vielen Erinnerungen verbunden. Am 15. September 1989 klopfte ich an die Tür der Abteilung Wissenschaftshistorischen Sammlungen der EidgenössischeTechnischen Hochschule (ETH) in Zürich. Frau Larcher öffnete die Türe. Ich übergab Dr. Beat Glaus einige Briefe, die zeigten, dass ich Zugang zu den unveröffentlichten Korrespondenzen des theoretischen Physikers Wolfgang Pauli mit den Tiefenpsychologen Marie-Louise von Franz, Aniela Jaffé und Carl Gustav Jung haben konnte. Darauf beugte ich mich über zwei Dokumente von Pauli, auf die mich Hans Primas, ein Professor für physikalische Chemie der ETH, aufmerksam gemacht hatte: den Essay ‚Moderne Beispiele zur „Hintergrundsphysik“‘ vom Juni 1948 und die aktive Phantasie ,Die Klavierstunde‘ vom Oktober 1953. Insbesondere wurde ich von einem mathematischen Symbol beeindruckt, das eine zentrale Rolle in beiden Dokumenten spielte: der Einheitskreis in der komplexen Ebene. Geometrisch ist dies ein Kreis, der in vier unterteilt ist. Ohne es selbst zu bemerken, hatte ich einen der Schlüssel gefunden, um die Welten der Physik und der Tiefenpsychologie miteinander zu verbinden.

Danach hat sich mein Leben dramatisch verändert. Sechs Monate nach meinem Besuch an der ETH reiste ich mit Philip Engelen, Regisseur der Rundfunkorganisation IKON, nach Haus Villigst in Schwerte, Deutschland, zu einem von Dr. Eberhard Müller organisierten Studienwochenende über Quantenphysik und Tiefenpsychologie. Primas hatte meinen Namen und meine Adresse an Müller weitergegeben. An diesem Wochenende traf ich die Tiefenpsychologin Eva Wertenschlag-Birkhäuser aus Herrenschwanden bei Bern. Mehrere Jahre lang hatte sie das Symbol des in vier Teile geteilten Kreises schon erforscht. Paulis Traummaterial brachte uns näher zusammen. In ihrer Präsentation deutete Eva an, dass man das Unbewusste nicht unterschätzen dürfe. Es könnte wie Dynamit sein. Philip arbeitete damals an einer Reihe von Dokumentarfilmen über Jungs Welt, die Passions of the Soul genannt werden sollten. Ich möchte meinen Kollegen in der Physik klarmachen, dass es jenseits der Quantenphysik eine andere Welt gibt, die von Jungs Prinzip der Synchronizität dominiert wird. Ich hatte aus der Korrespondenz zwischen Pauli und Jung erkannt, dass es eine Dimension jenseits der Quantenphysik und Tiefenpsychologie geben musste. Pauli hatte Jung im Mai 1953 geschrieben, dass er 1935 davon geträumt habe, dass die Quantenphysik unvollständig sei. Dies war die Meinung von Albert Einstein zu der Zeit. Dieser hoffte, dass die Atomphysik zu einem Konzept der physischen Realität zurückkehren würde, in dem sie wieder als objektive Realität verstanden werden könnte, unabhängig von der Methode der Wahrnehmung. Pauli träumte davon, dass dies eine Illusion sei. Die Quantenphysik wäre unvollständig, weil sie die unbewusste Psyche übersehen hatte. Ein Mann, der Einstein ähnelte, zeigte Pauli die Quantenmechanik als eindimensionalen Ausschnitt einer zweidimensionalen, sinnvolleren Welt, deren zweite Dimension mit dem Unbewussten und den von Jung entdeckten Archetypen verbunden war.1

Paulis Traum erwies sich in den frühen 1990er Jahren als besonders relevant für die Physik. Experimente des Physikers Alain Aspect hatten gezeigt, dass eine objektive physische Realität aufgrund der Arbeit von John Stewart Bell nur existieren konnte, indem sie gegen die Regeln der Relativitätstheorie verstieß. Bell arbeitete als theoretischer Physiker am CERN, Genève, und war verlegen über die Folgen seiner eigenen Arbeit. Er hatte die physische Realität retten wollen, aber um dies zu erreichen, musste er den Äther wieder einführen, der von Einstein abgeschafft worden war. In einem Gespräch mit dem BBC-Radio Mitte der 1980er Jahre sagte er: „Das Geheimnis ist jetzt (…), dass dieser Äther überhaupt nicht auf der Ebene unserer Beobachtungen wahrnehmbar ist. Es ist, als ob eine Art Verschwörung vor sich geht, dass hinter den Kulissen etwas vor sich geht. Und ich stimme zu, dass das extrem unangenehm ist.‘2 Wegen dieses Interviews beschloss Philip Engelen, im Namen der Rundfunkorganisation IKON, den ursprünglich irischen John Bell mit Paulis Ansichten zu diesem Thema zu konfrontieren. Die Korrespondenz von Pauli mit Jung hatte ja gezeigt, dass die von Bell vermutete Verschwörung wirklich existiert, aber in diesem Fall von psycho-physischer Natur sein könnte. Ich habe dann einen Brief zusammengestellt, in dem Paulis Traum von 1935 erwähnt wurde und hoffte, Bell damit ein wenig in Schrecken zu versetzen. Die IKON sandte dieses Schreiben im September 1990 an das CERN. Darauf deutete Bell über seine Sekretärin an, dass er von der IKON interviewt werden wolle. Am darauffolgenden Sonntag erlitt er jedoch eine schwere Gehirnblutung und starb einen Tag später, am 1. Oktober 1990, 62 Jahre alt. Ich erfuhr erst ein Jahr später von diesem tragischen Verscheiden, als ich an einer Vorschau von Passions of the Soul, Teil 2, teilnahm. Zu meiner Überraschung war in CERN nicht John Bell, sondern John Ellis interviewt. Philip erzählte mir dann, dass Bell unerwartet gestorben war. Das war auch ein schwerer Schlag für die Physik. Jeremy Bernstein bemerkte über John Bell in QuantumProfiles: ‚Er war (…) völlig einzigartig. Sein Tod hinterließ eine Leere in unserem Beruf und eine Leere in meinem Leben. Nach seinem Tod erzählten mir einige seiner Kollegen, dass er vor seinem Tod für den Nobelpreis für Physik 1990 nominiert worden war.‘3

Philip Engelen und sein Interviewer Hein Stufkens hatten mehr Erfolg, als sie im November 1990 in Küsnacht das einzige Interview durchführten, das Marie-Louise von Franz über ihre Beziehung zu Wolfgang Pauli geben würde. Das Interview war in englischer Sprache und erschien zusammen mit einer englischen Übersetzung der Klavierstundeim Jahr 2002 in der Zeitschrift Harvest. 2002 war auch das Jahr, in dem die erste Ausgabe dieses Buches bei Königshausen & Neumann als Band 7 einer Reihe von Studien auf dem Gebiet der Naturphilosophie von Dr. Thomas Arzt herausgegeben wurde. Ohne die Initiative meines Freundes Thomas und die finanzielle Unterstützung der Existential-psychologischen Bildungs- und Begegnungsstätte Todtmoos-Rütte wäre Wolfgang Pauli und der Geist der Materie nie erschienen. Erst im November 2005 bin ich nach Todtmoos-Rütte gereist, um einen Vortrag über den Pauli-Jung-Dialog und den kosmischen Menschen zu halten. Thomas hatte ein Symposium mit dem Titel ‚Der Homo Mysticus im 21. Jahrhundert. Teil II.‘ organisiert. Während dieses Symposiums traf ich Henning Weyerstrass, der an einem neuen Projekt um C.G. Jung arbeitete, und auch Dieter Klein, der als Fotograf ein schönes Büchlein mit Eindrücken des Symposiums zusammenstellte. Es war in jenen Jahren von unschätzbarem Wert, dass es immer noch Orte gab, die tiefgründigen Themen gewidmet waren die von der Wissenschaft ignoriert wurden.

Dazu gehörte auch die Verbindung zwischen Tiefenpsychologie und moderner Physik. Meine Erwartung ist, dass sich eine neue Physik erst ankündigt, wenn wir auch bereit sind für eine neue Tiefenpsychologie. Ein sinnvolles Symposium in Todtmoos-Rütte wäre zu diesem Thema leicht zu organisieren. Aber Thomas Arzt lebt nicht mehr. Am ersten Ostertag des Jahres 2020 erlitt er einen Herzinfarkt und überlebte diesen nicht. Und wie bei John Bell habe ich die tragische Nachricht erst viel später gehört. Diese zweite Ausgabe von Wolfgang Pauli und der Geist der Materie ist die beste Antwort, die Henning Weyerstrass und ich Thomas‘ unerwartetem Tod geben können. Ohne seine Bemühung hätte es nie eine erste Ausgabe gegeben und so hätten die fünf Jahre meiner Untersuchung keine Frucht getragen. Ich habe einen guten Freund verloren, an dem ich viele, schöne Erinnerungen hege. Das letzte Mal das ich Thomas gesprochen habe, zeigte er mir das Rote Buch das in phantasievollen Texten und Bildern die Auseinandersetzung von C.G. Jung mit dem Unbewussten dokumentiert. Später schrieb er mir: ‚Ich beschäftige mich stark mit Jungs Rotem Buch… Ist wie eine neue Bibel.‘ Und daher erschienen in Zusammenarbeit mit dem Tiefenpsychologen Murray Stein vier Bände, in denen Jungianer und andere Leute tätig auf dem Gebiet von Tiefenpsychologie und Mythen die Bedeutung des Roten Buches für unsere Zeit untersuchten.4

Für mich konnte das Rote Buch keine neue Bibel sein. Denn für mich war die Malerei von Peter Birkhäuser das Medium in dem sich ein neues Gottesbild ankündigte. Daher freut es mir dass Birkhäusers ‚Vieräugiger Weltgeist‘ auch das Umschlagbild dieser zweiten Ausgabe bildet. Diese Ölkreidezeichnung entstand 1969. Es zeigt ein vieräugiges Bärengesicht und basiert auf einem Traum, in dem Birkhäuser am Himmel ein Bild von einem geheimnisvollen Gottvater sah. Wie der Maler in seinem Manuskript ‚Der rote Faden‘ erwähnt, war dieses Bild ‚golden-perlmutterhaft, auf seltsamste vierfach gespiegelt, wie ein komplizierter Kristall, voll kunstvoller Brechungen. Rechts daneben, verbunden mit Gott, noch unerkennbar, magisch, eine neue Figur einer neuen Inkarnation von Christus.‘ Eva Wertenschlag-Birkhäuser bemerkt dazu in Fenster zur Ewigkeit: ‚Der Traum spricht vom überpersönlichen Prozess der Gotteswandlung in unserer Zeit. Gott will sich neu inkarnieren, neu Mensch werden.‘5 Da ich selber seit Januar 1972 mit Wotan als Bärengeist verbunden bin, spricht das Bild mich direkt an. Ich musste in meinem Leben verschiedene Male durch eine dunklen Kugel gehen, bevor ich mir eines neuen Sonnenaufgangs bewusst wurde. Wir erleben heute den Anfang von einem neuen Zeitalter. Diese neue Zeit wird aber erst geboren, nachdem wir die kollektive Dunkelheit der Menschheit weiter bewusst gemacht haben.

Herbert von Erkelens, August 2021

 

 

Anmerkungen

 

1 Pauli an Jung, 27. Mai 1953. C. A. Meier (Hrsg.): Wolfgang Pauli und C. G. Jung: Ein Briefwechsel. 1932-1958. Springer, Berlin/Heidelberg, 1992, S. 122.

2 ‘Now the mystery is (…) that this aether does not show up at the observational level. It is as if there is some kind of conspiracy, that something is going on behind the scenes which is not allowed to appear on the scenes. And I agree that that’s extremely uncomfortable.’ P.C.W. Davies & J.R. Brown (eds.): The ghost in the atom. Cambridge University Press, Cambridge, 1986, S. 50.

3 ‘He was (…) absolutely unique. His death left a void in our profession and a void in my life. After he died, several of my colleagues told me that prior to his death they had nominated him for the Noble Prize in physics for 1990.’ Jeremy Bernstein: Quantum Profiles. Princeton University Press, Princeton, 1991, S. 91.

4 Murray Stein and Thomas Arzt (eds.), Jung’s Red Book for Our Time. Searching for Soul under Postmodern Conditions. Chiron Publications: Asheville, 2017-2020.

5 Eva Wertenschlag-Birkhäuser: Fenster zur Ewigkeit. Die Malerei von Peter Birkhäuser. Verlag Stiftung für Jung’sche Psychologie, Küsnacht ZH, 2001, S. 131.

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